„My Car is my Castle“: Den Spruch nehmen manche Autofahrer wörtlich und schlafen statt in den eigenen vier Wänden auf den eigenen vier Rädern. Mit einem Dachzelt werden auch normale Pkw zu Campern.
Los Angeles/Stuttgart - 250 US-Dollar für eine drittklassige Absteige. Muffige Luft aus der Klimaanlage und statt auf den Pazifik geht der Blick auf den Parkplatz. Es gibt schönere Möglichkeiten, eine Nacht in Los Angeles zu verbringen, als im Hotel.
Keiner weiß das besser als Brock Keen, der ein Drittel des Jahres im Auto verbringt und dabei auch nächtens nicht aussteigt. „Denn geschlafen wird auf diesen Touren im Dachzelt, und zwar nicht nur in der Wüste oder den Bergen, sondern auch in der Stadt“, sagt der Millionär und Influencer aus Oregon. Er bittet zum Beweis in seine Wagenburg, die er heute in den Hollywood Hills aufgefahren hat.
Pendeln zwischen der Einsamkeit der Natur und dem Trubel
Im Halbkreis stehen dort drei Autos hoch über dem Pazifik, und bis auf den Dachträger fällt an ihnen erst einmal nichts auf. Doch während im Hintergrund die Stadt im Abenddunst verschwindet, klappen Keen und seine Gäste mit wenigen Handgriffen ihre Penthäuser auf, legen Leitern an, spannen ein paar Leinen gegen den Wind und machen sich für die Nacht bereit.
Noch bevor das Lichtermeer der Metropole in vollem Glanz erstrahlt, steigen sie schon ihren Autos auf Dach, krabbeln in den Schlafsack, räkeln sich auf bequemen Matratzen und sinken in einen Schlaf, wie er ruhiger und friedlicher kaum sein könnte in einer Mega-City.
„Man kann problemlos pendeln zwischen der Einsamkeit der Natur und dem Trubel der Großstadt, ist ganz weit draußen und gleich wieder mittendrin“, sagt er.
Camping boomt - nun auch wieder das Dachzelt?
Damit befindet sich der Amerikaner in guter Gesellschaft. Denn spätestens seit Corona boomt die Camping-Branche, meldet der Branchenverband CIVD. Und weil Wohnmobile teuer sind, lange Lieferfristen haben und im Alltagsgebrauch zwischen den Ferien doch zu ein paar Kompromissen zwingen, steigen manche Urlauber ihrem Auto aufs Dach und schlafen im Zelt.
Was Freizeitforscher mit der Pandemie erklären, hat für den Designprofessor Paolo Tumminelli auch etwas mit Psychologie zu tun: „Wenn sich heute jede Herberge Designhotel nennt und selbst Campingplätze ein Spa anbieten, suchen die Expeditiven und Neu-Ökologischen nach Wegen, sich von der gesellschaftlichen Biederkeit abzugrenzen.“ Sie erklärten das Dachzelt, das einst als „Pension Sachsenruh“ auf ostdeutschen Trabis thronte, zum „New Cool“.
Verschiedene Aufbauten möglich
Dabei hat der Dachaufbau gegenüber dem klassischen Zelt einige Vorteile, argumentiert etwa der Outdoor-Ausrüster Globetrotter und verweist auf den schnelleren Aufbau, der selten länger als fünf Minuten dauert. Und je nach Region und dortiger Fauna können zwei Meter Sicherheitsabstand zum Boden auch nicht schaden - gerade hier in den Bergen von Malibu, wo immer mal wieder Pumas gesichtet werden.
Angeboten werden dabei laut Globetrotter unterschiedliche Konstruktionen: Es gibt Zelte mit Hartschalen-Deckeln, die beim Aufstellen zum Dach werden, es gibt Luftschlösser, die erst mit aufgeblasenen Schläuchen anstelle herkömmlicher Streben in Form kommen. Und es gibt Zelte mit doppeltem Boden, die erst nach dem seitlichen Aufklappen ihre volle Größe annehmen und dann Platz für bis zu vier Personen bieten.
Das Gewicht nicht aus dem Auge verlieren
Egal, welche Konstruktion man wählt, gilt es laut ADAC vor allem aufs Gewicht zu achten. Und zwar gleich zweimal. Denn beim Auto unterscheidet man demnach zwischen der dynamischen und der statischen Dachlast. Erstere gilt fürs fahrende Fahrzeug und darf vom leeren Zelt nicht überschritten werden - was bei Gewichten meist unter zwei Zentnern selten ein Problem ist.
Letztere gilt für den stehenden Wagen und schließt dann auch die Bewohner des Dachzelts mit ein - wer also mit Kind und Kegel in Urlaub fährt, sollte vorher auf die Waage und seine Auto-Betriebsanleitung studieren. Jedoch weist die Gesellschaft für Technische Überwachung (GTÜ) darauf hin, dass viele Hersteller auch in den Begleitunterlagen über die dynamische Dachlast hinaus keine weiterführenden Angaben machen.
Wer sich in solchen Fällen nicht nur auf sein Gefühl verlassen will, dem bleibt mit Blick auf die statische Dachlast deshalb nur die Anfrage beim Händler oder Hersteller, die Internet-Recherche nach Gleichgesinnten mit ähnlichen Autos - oder der Wechsel ins Bodenzelt.
Mit dem Sportwagen zum Camping
Während die meisten Dachzelter im SUV oder wenigstens im Kombi unterwegs sein dürften, ist Keen durch und durch Petrolhead und schnallt sein Penthouse deshalb auf einen Porsche.
„Ich will beim Fahren schließlich auf den Spaß nicht verzichten“, sagt er. Selbst wenn ein Wohnmobil bequemer sei, würde ihn das bei der Routenwahl zu sehr einschränken. Damit hat er es auf Instagram zur Berühmtheit gebracht und findet immer mehr Nachahmer auch in Deutschland, die die Sozialen Netzwerke fluten.
Auch in Deutschland haben immer mehr Hersteller Dachzelte in ihr Zubehör-Programm aufgenommen, von Spezialanbietern aus der Offroad-Szene ganz zu schweigen, sagt Dag Rogge. Er ist Chef der Düsseldorfer Agentur APS und organisiert Abenteuerausfahrten überall auf der Welt, bei denen oft genug auch im Dachzelt geschlafen wird.
Die Preise sind nach oben offen
Die Preise taxiert er von 800 Euro für Baumarktware und Miniaturmodelle bis etwa 2000 Euro für Modelle aus dem Fachhandel: „Aber nach oben sind keine Grenzen gesetzt, erst recht dann auch noch Vorzelte mit Stehhöhe am Boden dazu kommen.“
Es sind nicht nur mehr Hersteller klassischer Geländeautos wie Land Rover oder Mitsubishi, die entsprechende Angebote machen. Sondern es gibt die Zelte längst auch bei Marken wie Mini, und sogar Porsche bittet zur Nachtruhe im Dachzelt. Dieses wurde laut Hersteller im Windkanal optimiert und ist besonders aufwendig konstruiert, rangiert aber mit knapp 5000 Euro am oberen Ende der Skala.
Zwar macht das Dachzelt aus jeder noch so kleinen Reise einen Roadtrip und das Nachtquartier ist in fünf Minuten fertig. Doch hat die Sache - zumindest in Deutschland - einen Haken:
Während man etwa in Skandinavien fast überall sein Lager aufschlagen darf, ist das Campen in Deutschland in freier Wildbahn verboten, warnt der ADAC. Zwar dürfe man jederzeit im Auto schlafen, wenn es dem Erhalt der Fahrtüchtigkeit diene. Aber Extras wie Vorzelt, Gartenmöbel oder der Grill sind dann tabu.
Brock Keen hat es da leichter: „Bei uns in Amerika ist das Campen eigentlich überall erlaubt, wo es nicht explizit verboten ist“, schwärmt er beim ersten Kaffee aus der Blechkanne, während am Horizont über dem Strand von Malibu so langsam der Tag anbricht.